Netter Mensch! Es gibt sie, ja, man nimmt sie nur selten wahr.

Geschichten mitten aus dem Leben

Dieter Schütz_pixelio.de

Vor ein paar Tagen musste ich beruflich zur örtlichen Bank und machte mich sehr früh morgens auf den Weg. Da ich auf dem Weg ins Büro an der Bank vorbeifahre, fuhr ich etwas früher los, denn morgens um viertel nach sieben sind noch nicht so viele Leute unterwegs. Ich hielt an, parkte mein Auto auf dem Parkstreifen, ging in die Bank, um eben schnell einen Kontoauszug auszudrucken.

Schon gedanklich im Büro und bei der Abrechnung und was alles an dem Tag zu tun sei, und mit Blick auf den frischgedruckten Konto-Auszug in meinen Händen, verlasse ich den Service-Bereich der Bank und trete in Gedanken versunken den Rückweg zu meinem Auto an - quer über den Gehsteig und kollidiere fast mit einem Fahrradfahrer, der direkt vor mir mit quietschenden Reifen zum Stehen kommt.

Wir haben uns beide mächtig erschreckt und der Fahrradfahrer hatte Mühe, heil vom Sattel zu kommen. Schuldbewusst, weil ich nicht aufmerksam war und gar nicht geguckt habe, ob da vielleicht jemand hergeht oder -fährt, sage ich sofort: „Oh, Entschuldigung. Das tut mir leid.“ Schon damit rechnend, dass jetzt eine Schimpftirade über mich einhergeht und mir Vorwürfe gemacht werden, dass ich besser aufpassen soll, sagt der Fahrradfahrer aber wider Erwarten: „Verzeihung, das wollte ich nicht.“

Zweifelsohne waren wir beide Schuld an dieser Situation. Der Fahrradfahrer wollte eine kleine Abkürzung vom Fahrradweg über den Gehsteig nehmen und hat die Kurve ein bisschen „geschnitten“ und ist dabei dem Bank-Ausgang ziemlich nahgekommen; ich wiederum hätte mich eher auf den Straßenverkehr konzentrieren sollen, statt schon im Gehen meine Abrechnung durchzugehen. Gott sei Dank, es ist nichts weiter passiert.

Der Radfahrer hatte es merklich eilig. Er stieg wieder auf sein Fahrrad, hatte den Fuß schon auf einer Pedale, doch bevor er seinen Weg fortsetzte, guckte er mich noch einmal prüfend an und fragte besorgt:

Alles gut?“„Ja, ja, alles gut. Es tut mir so leid, dass ich nicht aufgepasst habe und Sie beinahe hingefallen wären. Ich hätte besser aufpassen müssen. Ist mir sehr unangenehm.“

Nein, alles in Ordnung. War mein Fehler! Mir tut es wirklich leid, dass ich Sie so erschreckt habe. Man muss ja nicht so rasen. Einen schönen Tag noch.“ – und weg ist er. „Ihnen auch, dankeschön.“ – rief ich ihm noch nach.

Ich blieb noch kurz stehen und dachte so bei mir: Es gibt sie doch noch – diese Menschen, die nicht nur auf Krawall gebürstet sind. Netter Mensch! Es gibt sie, ja, man nimmt sie nur selten wahr. Mir kam der Bibelspruch in den Sinn: „Niemand suche das Seine, sondern das, was des andern ist.“ (1. Korinther. 10, 24) Genau so hat sich der nette Radfahrer verhalten. Er hat nicht auf sein Recht gepocht, war nicht wütend oder aufbrausend. Nein, er war sehr höflich und nett. Mit einem Lächeln, was mir so früh morgens oft schwerfällt, stieg ich in meinen Wagen und fuhr ins Büro.

In dieser hektischen, aufgeregten Zeit, in der Pöbeleien, Beschimpfungen und Anfeindungen schon fast alltäglich sind, tut es doch gut, Menschen zu begegnen, die diesen Spruch beherzigen – obwohl ich nicht einmal weiß, ob dieser nette Radfahrer ihn überhaupt kennt. Aber er lebt ihn – und das ist so schön.

Anja Drechsler